Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. (1.Johannes 4,21)
„Die meisten Menschen wünschen, wie es scheint, aus Ehrgeiz eher geliebt zu werden als zu lieben.“ Lange Zeit vor dem 1. Johannesbrief schreibt Aristoteles diesen Satz in seine Nikomachische Ethik. Kurz darauf stellt er fest: „Die Freundschaft liegt aber, so scheint es, mehr im Lieben als im Geliebtwerden.“
Einander lieben – darin besteht für den Johannesbrief am Ende des ersten Jahrhunderts die spürbare Qualität und die Schönheit von christlichem Gemeindeleben. Sich freundschaftlich, liebevoll und wertschätzend begegnen wie Geschwister, wie Freunde auf gleicher Ebene – so wird immer wieder das „Gebot von ihm“ konkret gefasst.
Fast jede und jeder hat im Leben Bekanntschaft gemacht mit schillernden Blüten christlicher „Liebe“. Allzu oft verschleiert sie bevormundende Fürsorglichkeit. Übergriffig kann sie Bedürfnisse nach gesundem Abstand wegwischen und Machtunterschiede überspielen – oftmals, um das Verlangen von Einzelnen zu stillen, geliebt und bewundert zu werden.
Der Wochenspruch zieht das Fazit aus dem vorhergehenden Abschnitt über die Liebe von Gott und den Menschen. Er offenbart eine bleibende Spannung im christlichen Leben: Ein Gebot ist eine Weisung, den Anspruch im Leben praktisch zu erfüllen. Offen bleibt die Frage, warum es gut ist, danach zu handeln. Die meisten Menschen wünschen, wie es scheint, aus Ehrgeiz eher geliebt zu werden als zu lieben. Aus solcher Motivation das Gebot Gottes zu befolgen, läuft ins Leere und Lieblose.
Gott ist Liebe, schreibt der 1. Johannesbrief. „Nicht dass wir Gott geliebt hätten, sondern er hat uns geliebt und uns seinen Sohn gesandt als Sühne für unsere Sünden.“ Von dieser Liebe berührt, angesteckt, entflammt zu werden, das entspricht dem Anliegen vom Johannesbrief – Lieben als Reflexion, als ausstrahlender Glanz, als fortgesetzte Resonanz. „Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe“, schrieb Luther. Diese glühende Liebe reicht viel weiter als bis zu den Brüdern und Schwestern.
„Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“, formuliert Jesus. Wer diesen Gott kennt und liebt, wird immer wieder beflügelt werden über den Wunsch hinaus, selbst geliebt zu werden, zum selbst Lieben ohne Ansprüche und Hintergedanken.