Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Korinther 5,17)
Paulus stellt uns in eine neue Welt hinein. Sie muss neu sein, denn in unserer alten Welt gibt es das ja nicht: einen völlig neuen Anfang, so, als sei das Vorige nicht gewesen. In der Welt, die wir kennen, baut alles aufeinander auf, in ihr ist der, der du bist, geworden aus dem Ort seiner Geburt, der sozialen Stellung seiner Familie, aus seinen Entscheidungen und Versäumnissen.
Tabula rasa, das gibt es in dieser Welt so wenig wie ein Perpetuum mobile. Es widerspricht allem. Das weiß auch Paulus und tut doch genau das: Er widerspricht allem. Aus der Taufe ersteht ein neuer Mensch (Römer 6). Für diesen neuen Menschen gelten alte Regeln nicht mehr. Sein Tod liegt hinter ihm, und die Kraft des Auferstandenen wirkt in ihm. Seine neue Geburt ist nicht das Ergebnis eigenen Tuns, sie ist auch kein besonders frommes oder erhebendes Erlebnis; sie geschieht an ihm, wie eben die Taufe an ihm geschieht: von außen. Und „in Christus“ ist auch keiner allein: „einer in Christus“ (Galater 3,28) bilden wir „untereinander und mit Christus eine Gesamtpersönlichkeit …, in der die Besonderheiten der Einzelpersönlichkeiten, wie sie durch Abstammung, Geschlecht und soziale Stellung gegeben sind, nicht mehr gelten“.
So schrieb es einst Albert Schweitzer in „Die Mystik des Apostels Paulus“. Kann sein, das ist ein antikes Menschenbild, das auf einem Denken gründet, das schon lange nicht mehr unseres ist. Kann sein. Doch stell dir vor, wie unsere Gemeinden aussehen würden, wenn Abstammung, Geschlecht und soziale Stellung nicht mehr gelten, stattdessen: eine „Gesamtpersönlichkeit untereinander und mit Christus“.
Da werden Machtfragen geklärt. Und manche Regel der alten Welt wird zu einem abgelegten Kleid. Zeitgenössische Mystik erscheint bisweilen domestiziert und individualisiert. Dagegen hat vor allem Dorothee Sölle immer wieder angeschrieben und einen wichtigen Punkt erfasst. Die Christusmystik des Apostels Paulus ist der Stachel im Fleisch eines angepassten Christentums. Es steckt noch eine große Kraft in ihr. Paulus stellt uns in eine neue Welt hinein.